Schloßstraße 23 – Leben im Gesamtkunstwerk
von Dr. Renate Reuther
Die Villa in der Schloßstraße 23 in Rudolstadt fällt durch ihre malerische Gestaltung besonders auf. Sie thront über dem kleinen Platz, der sich durch die Kurve bei der Abzweigung der Gebindstraße ergibt und ragt mit ihrem Türmchen keck heraus. Für diese Villa wurde am 19. Mai 1903 ein Bauantrag gestellt durch den Fabrikbesitzer und Reichstagsabgeordneten Eduard Müller. Den Bauplan erstellte der Rudolstädter Zimmermeister Oscar Mächtig. Diese Villa hat die vielen Jahre der Nutzung, nicht nur als Wohnhaus, sondern ab 1937 auch als Arztpraxis gut überstanden. Im Erdgeschoss ist noch viel von der Originalausstattung erhalten und so kann man noch erahnen, dass damals ein Wohnhaus als Gesamtkunstwerk entworfen wurde. Es ging um nichts weniger als die Verschmelzung von Kunst und Leben. So hat sich im repräsentativen Erdgeschoß, natürlich einer über der Straße erhobenen Beletage, nicht nur der Grundriss, sondern auch der Stuck, die rundbogigen Sprossenfenster bis hin zu den Türdrückern und Fenstergriffen erhalten. All dies waren nicht nur einfach der reinen Dekoration wegen zusammen gewürfelte Einzelstücke, sondern in die Gesamtkonzeption der Räume integrierte Materialien. Die Rundbogenfenster im Erdgeschoß zusammen mit neo-romanischen Säulen auf der Eingangsseite sollen der Villa einen sakralen, weihevollen Charakter geben. Ebenso wie die Glasfenster in der Diele, die mit braunen Ranken bemalt sind und von blauem Glasbändern gerahmt sind. Der Zugang zum Haus wurde damit gestaltet und zelebriert: Erst die Stufen hinauf, durch die halb-dunkle Loggia als Übergangsbereich von Draußen und Drinnen in die Diele, die durch die Fenster etwas düster-kirchliches hat. Sie mahnt zur Besinnung auf das Innere und schließt das äußere Leben aus. Aber von der Diele gelangte man in die lichtdurchfluteten Wohnräume. Das Leben in dieser Villa war also ein inszeniertes Leben, das gerade für Besucher starke Effekte bereithielt. Die bis 1938 offene Loggia öffnete das Haus zur Straße und schuf einen halb-öffentlichen Bereich. Gleichzeitig musste jeder Ankömmling sich zum Eingang hinauf bemühen: das Oben und Unten war sicher auch symbolisch zu verstehen, verbesserte aber auch ganz nebenbei den Blick auf Schloss und Rathaus, den beiden Machtzentren der Stadt. Durch die lebhaft gegliederte Fassade mit all den Erkern, Balkonen und der Loggia hatte man zu jeder Tageszeit einen sonnigen oder schattigen Platz, und einen spektakulären Blick vom Schloß zum Marienturm bis zur Schaalawand. Heute sind diese Blickachsen, die damals so wichtig waren, leider teilweise durch aufschießenden Bewuchs verwehrt. Der Erker im dunkel getäfelten Speisezimmer hat ein Buntglasfenster, das aus farbigem und strukturiertem Glas zusammengesetzt ist. Das Grün vor dem Fenster wird gerahmt und in allen Jahreszeiten farblich aufgefrischt, ohne in grelle Buntheit zu verfallen. Hier ließ man den Tag ausklingen: „Aber sie überkommen auch noch uns, diese Stimmungen, diese Sehnsucht oder diese behagliche Freude am Alleinsein und siehe, wie in eine holde Traumwelt würden wir in das stille Stübchen treten, dessen gemalte Scheiben dann ebenso willkommen uns wie einst dem frommen Beter die laute Außenwelt, das störende Licht abhalten und die Gedanken in ihrem bunten Farbenkäfig festhalten.“ (A. Ilg. Ein Wort über die profane Glasmalerei. 1873) Nicht nur im Speisezimmer fallen die vielen Türen auf. Die Zimmer im Erdgeschoss hatten zwei bis drei Türen, meist zweiflügelig und damit für die heutigen Wohnvorstellungen zu wenig Stellfläche. Damals waren aber die Durchgangsmöglichkeiten sehr wichtig, denn sie erlaubten einen Rundkurs durch alle Räume. Es sollte immer möglich sein, dass die Dienstboten ungesehen verschwinden konnten, wenn jemand das Zimmer betrat, andererseits war gerade diese Verbindung auch ein Zeichen der Abtrennung. Die Türen trennten Dienstboten von der Familie, die Privaträume der Familie von den Repräsentationsräumen für Besucher, die Geschlechter voneinander und die geschäftigen von den stillen Bereichen. Die eher kleinen Wohnräume sind dadurch zu erklären, dass sie als Damen- und Herrenzimmer getrennt waren. Gleichzeitig gab es aber die Verbindungstüren, die wieder zur Kommunikation einluden. Die uns heute als eine Verschwendung von Quadratmetern anmutende Diele war der Platz, an dem all diese Bewegungen zusammenliefen. Die bürgerliche Villa spiegelte den idealen Lebensstil einer idealen Familie, den man als Aufgabe annahm. Dazu gehörte ein Grundriss, der Ruhe und Ordnung nicht nur ausstrahlte, sondern geradezu erzwang. Dazu gehörten Orte der Geselligkeit und der inneren Einkehr. Dazu gehörte eine Abfolge von Räumen vom Düsteren zum Hellen. Dies alles findet man auch so in der Schloßstraße 23. Diese Wohnfunktionen wollte man in einem schönen, behaglichen und sittlich festigenden Umfeld einbetten. Deshalb sollte die Villa mit allen Details ein Gesamtkunstwerk sein. In diesem Kunstwerk zu leben, verlangte vom Bewohner in einer bestimmten Art und Weise zu leben, sich dem Haus anzupassen und wohl auch bei allem Glanz manche Entbehrung auf sich zu nehmen. Diese Unterwerfung unter die Wohnform ist wohl heute kaum mehr einer bereit zu leisten und so wird eine Villa nach der anderen zu einer austauschbaren, weißgetünchten Hülle umrenoviert, bei der vielleicht nur das Denkmalamt einigen äußeren Zierrat schützt.
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